Mit dem Ende Dezember verstorbenen Nobelpreisträger Martin Karplus (1930-2024) verbinden mich vielschichtige Erinnerungen. Wir haben oft korrespondiert, sind einander mehrmals begegnet und haben uns immer mit großer Wertschätzung, verbunden mit humorvollen Gesprächen, unterhalten. Unsere Treffen waren geprägt von Herzlichkeit und einem tiefen gegenseitigen Respekt.
Martin Karplus wurde 1930 in eine Wiener jüdische Familie geboren, intellektuell, erfolgreich und gar nicht religiös, wie er mir erzählte. Gleichzeitig war die Familie naturwissenschaftlich geprägt. Sein Großvater war ein führender Psychiater an der Universität Wien, seine Großtante war Ethnologin, sein Großonkel Robert von Lieben der Erfinder der Radioröhre, sein Bruder Robert wurde Physiker und unterrichtete an der Universität Berkeley. Kurz nach dem „Anschluss“ flüchtete die Familie über die Schweiz und Frankreich in die Vereinigten Staaten. Es grenzt an ein Wunder, dass es Martins Vater gelang, einige Möbelstücke – auch aus dem Palais Lieben-Auspitz – in die USA zu schicken. Karplus schrieb darüber auch in seiner spannenden Autobiographie „Spinat an der Decke“.
Der Titel führt auch zu seiner Erziehung. Als Kleinkind in Wien wollte er keinen Spinat essen, schleuderte einen Löffel voll von sich, woraufhin auf der Zimmerdecke ein Spinatfleck blieb. Hier knüpft er in seinem Buch mit seiner Ausbildung an, die mit seinem Interesse für Biologie begann, wechselte aber bald zur theoretischen Chemie und erhielt 2013 gemeinsam mit Michael Levitt und Arieh Warshel den Nobelpreis für seine Forschungen zur Entwicklung von Multiskalenmodellen für komplexe chemische Systeme. Obwohl Karplus nie eine Einladung zur Rückkehr oder zu einem Besuch nach Wien erhielt, vereinnahmte der Boulevard den Nobelpreis kurzerhand für Österreich. Grotesk, wenn man sich vor Augen hält, dass die Vertreibung der jüdischen Wissenschaftler Österreich zu einer akademischen Provinz verkommen ließ.
Daher dürfen wir uns glücklich schätzen, dass Menschen wie Martin Karplus dann doch nach Österreich reisten und sich hier sehr großzügig zeigten. Der Nobelpreisträger schenkte dem Jüdischen Museum Wien einen Schaukelstuhl aus dem Besitz der Familie und den Spieltisch seines Großvaters, Dr. Johann Paul Karplus, Neurologe und Primar an der Wiener Polyklinik. Dieser spielte gern mit seinen Freunden Tarock, darunter auch sein Kollege Dr. Sigmund Freud. Der Tisch stand bis 1938 in der Wohnung der Familie Karplus im Palais Auspitz-Lieben, ein Gebäude, das heute das Café Landtmann beherbergt. Dieser Spieltisch kam 2017 zu hohen Ehren, als ich den heutigen König von England und seine Gattin Camilla bitten durfte, darauf das Gästebuch des Jüdischen Museums zu signieren. Eine kleine Anekdote, über die Martin Karplus sich freute.
Auch über seine Hobbies, die Fotografie und die hohe Kochkunst (Martin Karplus war leidenschaftlicher Koch, der auch in Haubenrestaurants am Herd stand), teilten wir uns aus. Ich bin dankbar für diese Begegnungen mit Martin Karplus und seiner Frau Tammy, immer auch in Begleitung des Hundes Bib, der vom Wiener Bürgermeister höchstpersönlich die Erlaubnis erhalten hatte, sich in allen Wiener Museen oder öffentlichen Einrichtungen aufhalten zu dürfen. Auch darüber konnten wir gemeinsam schmunzeln. Ende Dezember 2024 ist Martin Karplus im Alter von 94 Jahre in seinem Haus in Massachusetts gestorben.
Die Erinnerung an ihn wird immer bleiben.