Selten ist mir ein Nachruf so schwergefallen wie dieser. Der Tod von Otto Schenk bedeutet für Österreich und weit darüber hinaus den Verlust eines bedeutenden Künstlers und einer unvergleichlichen Persönlichkeit, die wie kaum eine andere das Theater und die Bühne geprägt hat. Für mich bedeutet sein Tod den Verlust eines engen und besonders lieben Freundes.
Otto Schenk war eine Institution – ein Schauspieler, Regisseur, Kabarettist und Theaterdirektor, der mit seinem feinen Humor und seiner einzigartigen Gabe, Geschichten zum Leben zu erwecken, Generationen von Menschen berührt hat. Seine Karriere umspannte Jahrzehnte. In dieser Zeit hat er unvergessliche Momente geschaffen, die das kulturelle Leben bereichert haben. Als Schauspieler war er ein Meister des subtilen Ausdrucks und der tiefgründigen Komik. Er verstand es, Figuren mit einer Mischung aus Leichtigkeit und Tiefe darzustellen, die sein Publikum immer wieder in Staunen versetzte. Ob auf der Theaterbühne, im Kabarett oder im Film – er war stets authentisch, immer präsent und dabei doch bescheiden.
Seine Arbeit als Regisseur war geprägt von einer tiefen Liebe zum Theater. Besonders seine Inszenierungen großer Opern und Theaterstücke sind legendär. Als Theaterdirektor der Wiener Volksoper und des Theaters in der Josefstadt führte er diese Häuser mit einer Vision, die Tradition und Innovation verband. Unter seiner Leitung wurden die Bühnen zu Orten, an denen die Kunst in ihrer reinsten Form erlebbar wurde.
Aber Otto Schenk war nicht nur ein Künstler von Weltrang, sondern auch ein großer Komödiant. Er konnte mit einer einzigen Erzählung einen ganzen Saal zum Lachen bringen. Seine Anekdoten über das Theaterleben sind bis heute unvergessen. Doch neben seinem Humor war es seine Humanität, die ihn auszeichnete – eine Eigenschaft, die ihn auch zu einem unvergleichlichen Freund machte.
Für mich persönlich war Otti (wie ihn seine Freunde nennen durften) mehr als der große Künstler, den die Welt kannte. Er war ein Freund, ein Ratgeber und ein Mensch, dessen Weisheit und Lebensfreude mich tief geprägt haben. Unsere Gespräche, die von unserer Herkunft (Ottis Vater war Jude, seine Großmutter und sein Onkel wurden von den Nationalsozialisten ermordet), unserer Leidenschaft für die Kunst, aber auch von Geschichten über den profanen Alltag geprägt waren, werde ich für immer in meinem Herzen tragen. Otti und seine kongeniale Ehefrau Renée habe ich vor vielen Jahren als unmittelbare Nachbarn kennen und schätzen gelernt und konnte oft deren legendäre Gastfreundschaft genießen. Während der langen Krankheit von Renée war ich tief beeindruckt, mit welch unglaublicher Sensibilität und Zärtlichkeit, sich Otti um seine Frau sorgte. Nach dem Tod von Renée durfte ich Otti jede Woche besuchen und mit ihm auch Ausflüge in verschiedene Wiener Museen unternehmen. Dass ich Otti immer wieder vorlesen durfte und er das auch sehr genossen hat, empfand ich als großes Privileg. Meine Projekte quittierte Otti mit großem Interesse und trug auch immer wieder mit – oft auch außergewöhnlichen – Informationen dazu bei. So berichtete er mir, dass die berühmte Schauspielerin und Erfinderin Hedy Lamarr 1955 bei seinem Vater, einem bekannten Wiener Notar vorgesprochen hatte, um die Restitution einiger Grundstücke zu erreichen, die ihr Vater im Weinviertel besessen hatte und die auch im Zuge des Raubzugs der Nazis eine Rolle spielten. „Hedy Lamarr rauschte herein, wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Wir kannten sie ja nur nackt.“, erzählte mit Otti in Anspielung auf den Nacktauftritt von Hedy Lamarr im Film Ekstase. Zu dieser Zeit war das Weinviertel allerdings Teil der sowjetischen Besatzungszone, worauf Hedy Lamarr kurzerhand fragte, ob sie nicht die Sowjetunion auf Rückgabe der Grundstücke verklagen könne. Eugen Schenk verabschiedete die schönste Frau der Welt daraufhin mit höflichen Worten, aber durchaus rasch. Otti trug auch mit einer Geschichte zu meinem Buch „Stammgäste. Jüdinnen und Juden am Semmering“ bei, indem er mir von seiner Kindheit am Semmering erzählte. Die Berichte von seinen Erlebnissen habe ich dankbar aufgenommen.
Otto Schenk hat der Welt unzählige Geschenke gemacht: unvergessliche Rollen, unsterbliche Inszenierungen und Momente des reinen Glücks. Sein Vermächtnis wird weiterleben, in den Theatern, die er geliebt hat, in den Geschichten, die er erzählt hat, und in den Erinnerungen all jener, die das Glück hatten, ihn zu kennen. Er war ein Künstler, der Herzen gewann und ein Mensch, der meine Seele tief berührte. Otto Schenk wird fehlen: auf der Bühne und jedenfalls mir im Leben.